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Unsere erste Reise vom Festland zu einer Insel beginnt etwas harzig. Da wir und der Wind inzwischen alte Bekannte sind, entschliessen wir uns in Cascais noch bei der Tankstelle vorbei zu fahren um KISU mit Diesel vollzutanken und zusätzlich die in Spanien erstandenen Kanister aufzufüllen. Könnte ja sein… Am Steg der Tankstelle liegen natürlich bereits zwei grosse Motorjachten die hier scheinbar genächtigt haben und ein Segelschiff welches beim Anmelderitual ist (wieso die dann nicht den Anmeldesteg nutzen bleibt ihr Geheimnis). Übrig bleibt noch genau eine Rumpflänge Platz für KISU dazwischen. Da gerät die Bordfrau ja schon zum ersten Mal ins Schwitzen und denkt sich: ‘das reicht nie und nimmer’, aber der Skipper hat das voll im Griff. Diesmal gelingt dank moderaterem Wind auch der mehr oder weniger elegante Sprung auf den Steg. Nun sind wir etwas weit weg von der Zapfsäule aber dank dem, dass das andere Segelschiff sich davonmacht, kann KISU nach vorne verholt werden. Nun ist das Tanken auch immer eine kleine Sauerei da der Diesel hauptsächlich schäumt und dadurch das Befüllen der Kanister in keinster Weise erleichtert wird. Auch das Überreichen des Tankschlauches an Bord kann zum akrobatischen Akt werden, wenn der Wind mal wieder entschliesst das Boot vom Steg wegzudrücken. Aber alles klappt schlussendlich und wir können noch zuschauen, wie der Volvo Ocean Racer ‘Turn the Tide on Plastic’ der vorhin noch friedlich am Steg vertäut lag, an uns vorbei Richtung Hafenausfahrt rauscht.
Um 10:00 sind dann auch wir soweit unsere bisher längste Nonstop-Fahrt zu Zweit in Angriff zu nehmen. Nachdem wir die obligaten Fischerfähnchen umschifft haben, können wir auch schon die Segel setzen. Dank dem entspannten Wellengang und durch den starken Wind im Hafen der unser Schiff eine Woche lang in Schaukelbewegung hielt sowie einem Doppeldoping an Reisetabletten geht es der Bordfrau recht gut, wenn auch KISU durch Seitenwind etwas gar schräg im Wasser liegt. Aber KISU hat völligen Spass und schiesst mit um 12 Knoten Wind förmlich durchs Wasser. Irgendwann haben wir gemäss Anzeige an diesem ersten Tag auch unsere bisherige Höchstgeschwindigkeit von 10,4 Knoten Speed erzielt.
Langsam gewöhnen wir uns an die Schräglage und versuchen etwas Bordalltag aufkommen zu lassen. Doch sind wir ehrlich, es braucht etwa 2 Tage bis man sich eingewöhnt hat. Die vom Skipper serviert erste Mahlzeit quittiert die Bordfrau mit kurz übergeben, was aber nun wirklich nicht an der Kochkunst des Skippers lag. Die erste Nacht ist erneut bitterkalt und wir sitzen da in voller Ölzeug-Montur mit Thermounterwäsche und noch einem Winterpullover sowie mit Schal und Mütze und wenn wir sie dabeigehabt hätten, hätten wir auch noch die Skihandschuhe angezogen. Aber immerhin konnte sich der Skipper mit Trimmen und da und dort noch ein bisschen an der Leine ziehen voll den Segeln widmen. Die Bordfrau hockt meist nur etwas lethargisch hinten im Boot bei ihrer Wache, da die Medikamentenzufuhr sie sehr träge macht, dadurch aber immerhin ein Totalausfall verhindert werden konnte. Der zweite Tag unterschied sich nicht wirklich gross vom ersten Tag ausser dass der Skipper eine Stunde nach Beginn seiner Hundswache (von Mitternacht bis 04:00) die Segel wegen schwächelndem Wind einholen muss. Nun begann er sich scheinbar sehr zu langweilen denn anders kann die Bordfrau es sich nicht erklären, wieso er sich einen Vogel an Bord holt. Zugegeben der Skipper weiss auch nicht wann genau der Passagier sich eingeschlichen hat (heisst das nun der Skipper hat auf seiner Wache geschlafen 😉) doch als die Bordfrau ihn zur Wachablösung im Cockpit aufweckt flattert da plötzlich etwas hinten rum. Es zeigte sich, dass der Vogel wegen fehlendem Startwind es nicht alleine schaffte vom Boden über die hochgeklappte Badeplattform zu kommen. Dem Skipper wird von der Bordfrau umgehen die Kehrichtschaufel gereicht um für das Kerlchen die nötige Starthilfe zu schaffen. Der Vogel überlebt und der Skipper kann sich zum Schlafen in die Leekoje im Salon verziehen.
Und dann am dritten Seetag der völlige Wandel: Plötzlich wird es warm an Bord, die schwelende Übelkeit bei der Bordfrau verschwindet und plötzlich stellt sich eine Zufriedenheit und Ruhe ein wie wir sie bisher nicht erlebt haben. Wir geniessen jeden Moment und sind fasziniert vom Blau des Atlantiks, die Sonne wärmt uns und wir können uns richtig entspannen. Jetzt verstehen wir was an Blauwassersegeln so schön ist. Zwischenzeitlich können wir auch nochmal die Segel setzen aber nach etwa fünf Stunden fällt der Wind wieder zusammen und durch eine Kreuzsee schlagen die Segel nur unnötig umher. Also wird unser Freund der Motor wieder angelassen und nun muss halt mit Nebengeräusch bis zum Ziel Porto Santo (dies ist eine vorgelagerte Insel von Madeira) weitergefahren werden. Während der Nachtwache wird dem Skipper scheinbar wieder langweilig also holt er sich kurzerhand den nächsten Passagier an Bord. Die Bordfrau hätte sich bei der Wachablösung fast drauf gesetzt – es war ein Tintenfisch welcher sich bei der Flucht vor Fressfeinden mit einem zu mutigen Sprung bis auf die Cockpitbank verirrt hatte. Aus Überlebenssicht war die „Rettung“ auf unser Boot jedoch leider eine krasse Fehlentscheidung. Somit kam die Kehrichtschaufel wieder zum Einsatz und wir haben Octopussy seinem Element mit der nötigen Würde zurück gegeben – Skipper: ‘habe den hoffentlich ganz über Bord geschmissen’ 😊
Der vierte und letzte Tag beginnt mit dem immer wieder Lebensgeister weckenden Schluck ‘What else’ und kurz darauf kann die Bordfrau ‘Land in Sicht’ vermelden. Auch das ein besonderer Moment, wenn man nach 3 Tagen und Nächten nur Wasser, höchst selten mal ein anderes Schiff und nur zweimal Delfine gesehen hat plötzlich am Horizont Land auftauchen sieht. Es dauert dann zwar noch locker 4-5 Stunden bis man wirklich an Land ist aber es stellt sich doch schon Vorfreude auf was einem da wohl erwartet ein. Die dunklen schroffen Felsen wirkten nun vielleicht nicht sehr einladend, waren aber interessant anzusehen. Der kilometerlange Sandstrand der bei der Zufahrt zum Hafen entgegen leuchtet lässt wunderbare Gedanken an ‘faul in der Sonne am Strand liegend’ aufkommen! Den letzten freien Hafenplatz auf der Seite mit den etwas längeren Stegen (aber wieder zu kurz für KISU) entern wir um 13:00. Auch hier eilen wieder ganz selbstverständlich schon Leute von ihren Booten herbei um unsere Leinen anzunehmen und am Steg fest zu machen. Nun stell sich einer das herzliche Willkommen vor, da eine der Helferinnen Cosima von der Segelyacht TRITON war, welche wie wir auch mit Jimmy Cornell den Atlantik queren wird. Seit Monaten hatten wir schon schriftlichen Kontakt per Mail und sind eine sehr ähnliche Route wie sie und ihr Mann Ralf unterwegs, aber haben es nie geschafft gleichzeitig in einem Hafen zu liegen. Durch gegenseitiges lesen unserer Blogs stellte sich sofort ein Gefühl von Vertrautheit ein, wie wenn man gute alte Freunde wieder trifft. Später lernen wir auch noch ihren Mann Ralf bei einem sehr gemütlichen Plausch in unserem Cockpit kennen. Dazwischen müssen wir noch bei der Anmeldung vorbei und diesmal auch beim Zoll. An beiden Orten werden die obligaten Daten abgefragt und später kam dann auch noch die Polizei direkt zum Schiff um nochmals zu fragen wer, woher, wie lange, wohin, welche Schuhgrösse…. Aber wie wir das von Portugal inzwischen gewohnt sind, sind das alles sehr freundliche und aufgestellte Leute.
Mit unseren Velos radeln wir dann noch ins Dorf um einzukaufen und als Abendessen eine Pizza beim Italiener zu verspeisen. Zurück im Hafen gibt es noch einen kleinen Absacker im Hafenrestaurant mit den ‘Tritons’ und weiteren Langfahrtenseglern, dem dann aber bald die Nachtruhe auf KISU folgt.

Etwas Statistik: In 75 Stunden 490 Seemeilen zurück gelegt – davon 41.5 h unter Segel und 33.5 h mit Motor, bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 6.5 Knoten. In den ersten 24 Stunden haben wir nur unter Segel ganze 167 Seemeilen zurückgelegt!

 

Gedanken zum Langfahrtsegeln:
Weshalb tut man sich das freiwillig an?
500 Seemeilen am Stück mit teils lästigem Schaukeln. Wenn es dumm läuft, kann es einem dabei übel werden. 3 Tage und 3 Nächte lang unterwegs sein ohne Land zu sehen – das heisst eines muss auch in der Nacht immer Wache gehen um eventuelle Schiffe welche sich nicht an die Vorfahrtsregeln halten sollten, frühzeitig zu entdecken. Das heisst, du guckst während vier Stunden Nachtwache meist in die völlige Finsternis da draussen oder auf den Radar. Die ewige Schaukelei, wenn sich eine Kreuzsee aufgebaut hat (Wellen die nicht alle aus der gleichen Richtung kommen) und nicht vergessen sich ständig festhalten sonst wird man unweigerlich umgeworfen. Beim Essen darauf Acht geben, dass man immer schön die Schiffsbewegungen mit geht sonst könnte die heisse Mahlzeit irgendwo landen bloss nicht im Mund und im schlimmsten Fall auf dem Schoss.
Ja also wieso tut man sich das an?

Da sind diese magischen Momente wie:
– du weisst während der Nachtwache nicht, soll ich nun die Millionen von Sternen anschauen oder doch lieber dem biolumineszenten Plankton welches neben KISU im Wasser funkelt zusehen
– so ohne Lichtersmog weisst du plötzlich weshalb man die Milchstrasse überhaupt Milchstrasse nennt
– den ersten Schluck Kaffee am Morgen nach der Nachtwache wenn die Sonne sich langsam über den Horizont schiebt – unbezahlbar
– und dann dieses Blau – das unglaubliche Blau des Meeres wenn du die Sonne in deinem Rücken hast
– dem Farbenspektakel beim Sonnenuntergang zusehen
– Delfine kommen dich besuchen und scheinen mit KISU um die Wette zu schwimmen
– soweit das Auge reicht nur Meer, vom wolkenlosen Himmel knallt die Sonne und dazu hörst du dir Ray Charles mit seinem ‘Georgia On My Mind’ in voller Lautstärke an
– und und und….

Uns hat diese Überfahrt ab dem dritten Tag riesigen Spass gemacht! Und das lässt doch für die Fahrt über den grossen Teich hoffen 😊

Gaby